Wenn Matthias Schlier anruft...
Ende
Oktober in München. Es regnet, der nötigste Spaziergang mit dem Hund ist
erledigt. Eine Premiere liegt eben hinter mir, noch zwei Wiederaufnahmen im
Dezember, dann ist das Jahr vorbei. Die Unterlagen des letzten Stücks liegen
wild durcheinander auf dem Schreibtisch, egal – das kann ich auch morgen
sortieren. Da klingelt das Telefon ...
Es
ist Matthias Schlier, der mir vorschlägt, die Regie für die nächste große
Cantemus Produktion im Velodrom zu übernehmen. Das Stück heißt „Tom Sawyer und
Huckleberry Finn“ – Premiere Ende Februar, Proben ab den Weihnachtsferien,
Vorbereitungen ab sofort!
TOM
SAWYER UND HUCKLEBERRY FINN! Sehr gern!
Ich
rufe Andreas Schwark an, der gerade im Theatermuseum arbeitet, um ihm die
Neuigkeit mitzuteilen. Er wird die Ausstattung des Stücks übernehmen. Auch er
freut sich riesig.
Ein
Blick in meine Bibliothek: Mist – ich habe das Buch von Mark Twain nicht. Nur
ein schmales Bändchen „Prinz und Bettelknabe“ steht da zwischen Turrinis
„Rozznjogd“ und Wedekinds „Lulu“.
Also
schnell Jacke und Schuhe an und los. Mein Hund schaut mich entsetzt an: es
regnet! Er muss trotzdem mit. Wir marschieren zur nächsten Buchhandlung. Gott
sei Dank! Es gibt „Tom Sawyers Abenteuer“ sowohl in der Kinderbuchabteilung als
auch im Klassikerregal. Und viele verschiedene Übersetzungen. Ich entscheide
mich für die klassische Variante von Lore Krüger. Heimlaufen, aufs Sofa legen,
lesen und lesen und lesen ...
Drei
Tage später sind die alten Unterlagen vom Schreibtisch verschwunden und
stattdessen liegt alles mögliche über, von und mit Tom Sawyer und Huckleberry
Finn drauf. Andreas und ich haben die „allerwichtigste“ Sekundärliteratur übers
Internet bestellt: andere Übersetzungen, alte Ausgaben mit Bildern von Walter
Trier (einer unserer Lieblingsillustratoren seit „Emil und die Detektive“),
Biographien von Mark Twain und Kurt Weill, Bildbände mit alten Photographien
über den wilden Westen, auch ein Lucky Luke Band mit dem Titel „Auf dem
Mississippi“ ist dabei).
Am
Laptop läuft eine russische Verfilmung – ich verstehe kein Wort, aber die
Bilder sind schön. Auf youtube kann man alle möglichen Toms und Huckleberrys
sehen. Unsere Lieblingsverfilmung bleibt nach drei durchwachten Fernseh-Nächten
die Verfilmung von 1930 mit Jackie Coogan und Junior Durkin.
Mittlerweile
ist auch die Musicalfassung des Verlags angekommen. Im Vergleich zum
Originaltext ist hier natürlich viel gestrichen, aber auch leicht verändert aus
dramaturgischen Gründen.
Mir
gefällt die Fassung, die John von Düffel erarbeitet hat. Im Paket dabei ist
eine CD mit 5 Originalliedern von Kurt Weill mit Texten von Maxwell Anderson.
Die englische Fassung dieser Lieder ist so gut, dass ich unbedingt auch davon
etwas in die Inszenierung mit hinein nehmen möchte.
Ausgehend
von der dramatischen Fassung erstelle ich ein Szenario – das ist eine Tabelle,
die zeigt, wann welche Szene kommt, wie lange sie ist, wer dabei mitspielt und
wo die Szene spielt. Ein Szenario bietet somit einen kompletten Überblick über
das Stück und ist unerlässlich für die spätere Organisation von Proben, dient
aber auch als Ablaufplan für Inspizient und Technik.
Wegen
der vielen Ortswechsel bei Tom Sawyer wird schnell klar, dass es wieder sehr
viele Umbauten geben wird...
Andreas
entwirft das Plakat. Wir haben uns entschieden, die bekannteste Episode aus dem
Buch als Motiv zu wählen: Tom Sawyer soll den Zaun von Tante Polly streichen.
Er liegt im Bett und macht eine Skizze nach der andern, um davon die Besten
später am PC zu bearbeiten.
Mitte
November fahre ich nach Regensburg. Ich treffe mich mit Matthias Schlier, um
die ersten Schritte zu besprechen. Mit im Gepäck: der erste Plakatentwurf und
viele Skizzen von Andreas zu den einzelnen Charakteren der Hauptrollen, da wir
heute auch über die Besetzung sprechen. Das Plakat kommt gut an, jetzt muss es
noch formal überarbeitet und mit ein paar Angaben wie Sponsoren ergänzt werden,
bevor es in den Druck geht.
Bei
dem Gespräch über die Besetzung helfen die Skizzen von Andreas sehr. Damit wird
sofort klar, welchen Typ wir uns für welche Rolle vorstellen.
Weiter
geht es mit organisatorischen Dingen:
Probenplanung:
Ab wann kann geprobt werden, wo können wir proben, wann fahren wir nach Regen,
ab wann können wir ins Velodrom, ab wann ist die Band dabei, etc.!
Die
zentrale Frage, nämlich was geprobt wird, werde ich zu Hause erarbeiten, sobald
ich weiß, wer überhaupt wann da sein kann (bei insgesamt über 100 Beteiligten
auf der Bühne mit 16 großen Rollen eine logistische Herausforderung!).
Termine
für die Abgabe der Textvorlage und für die erste Leseprobe werden festgelegt.
Pressetext
und Kostümlisten für Haupt -und Nebenrollen müssen zusammengestellt werden.
Da
ich nur fünf Lieder auf der CD vom Verlag habe, das Stück aber insgesamt 18
Musiknummern beinhaltet, wird jemand organisiert, der mir den gesamten
Klavierauszug aufnimmt.
Nach
dieser ersten Besprechung schnuppere ich noch ein bisschen Chorluft und besuche
zwei Proben im Malsaal. Ich sehe viele bekannte Gesichter aus „Emil und die
Detektive“ und „Brundibár“ wieder.
Bei
der Heimfahrt höre ich noch mal die Songs durch, die ich bereits habe.
Jetzt
geht die Arbeit erst richtig los! Ich freu’ mich drauf!
Christine Neuberger
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